Die Toskana des Ostens und das Jahr 2025

 
Viel hat sich entwickelt, seit wir vor 25 Jahren uns auf unsere Stärke besonnen haben. Die Toskana des Ostens wurde nicht mehr belächelt, sondern wir haben diesen Slogan als Verpflichtung und Auftrag verstanden. Heute ist es jedem Einheimischen klar, daß wir in unserer Region Kultur zum Abwinken haben. Die Weinregion ist eine Selbstverständlichkeit; fast kein Hof hat nicht eine Straußenwirtschaft, und in den Sommermonaten quellen diese an den Wochenenden vor Besuchern über. Jedes alte Weinhäuschen ist zu einem Ausschank geworden. Wenn wir uns noch daran erinnern, daß diese Weinregion für die meisten Besucher ein Geheimtip war... Wirklich gutes Brot gibt es wieder, und die kulinarischen Genüsse sind unbeschreiblich, welche in unserer Region angeboten werden.
 

  
Foto: Linda Troeller

Ja, wir sind zu einer Wellness- und Baderegion der Spitzenklasse geworden. Nationale und internationale Besucher buchen jedes freie Bett in der Region. Unsere Gastronomie wetteifert mit der Badischen Spitzengastronomie. Freiburg im Breisgau und Breisach strengen sich an, stehen im Wettbewerb mit unserer Region, die sich immerhin zur größten Champagnerproduktion Europas gemausert hat.

Nachdem 2010 die Ortsumgehung Naumburg - Bad Kösen fertiggestellt wurde, somit der Zugang zur Autobahn von Bad Sulza über die Ortsumgehung Kösen - Naumburg nur noch 15 min betrug und die Verbindung zum Leipziger Flughafen unter einer Stunde realisiert werden konnte, war der langsame Aufstieg der Region nicht mehr aufzuhalten. Es war schon lange absehbar, daß mit der Osterweiterung das Hermsdorfer Kreuz sich zum verkehrsreichsten Autobahnkreuz Europas entwickeln würde, die Region um Halle, Leipzig, Merseburg einen ungeahnten Aufschwung bekam, die Leipziger Messe gerade für die Ostländer zu einem der Zentren von Handel und Wandel wurde, und daß mit der Verbesserung der Schienenverbindung zwischen Berlin - Mailand und Paris - Warschau - Moskau unsere Region sich verkehrstechnisch in einem Top-Zustand befand. Spätestens, als zur gleichen Zeit die Regionalbahn zur S-Bahn ausgeweitet worden ist und die Verbindung Leipzig - Frankfurt in Kooperation mit den Intercity- und Schnellzügen zu einer eng verflochtenen Verkehrsachse geworden ist, war unsere Region an die großen Metropolen herangerückt, so daß wir vor verlängerten Wochenendurlaubern uns kaum retten konnten.

 
Natürlich waren wir die ersten, die an unseren Bahnhöfen jene kleinen süßen Smart-Autos aufstellten, die man mit Scheckkarte bewegen konnte, so daß jeder Zuggast sofort den von ihm gewünschten Ort erreichen konnte. Heutzutage macht man sich keine Gedanken darüber, daß in jedem dieser Fahrzeuge ein Navigationssystem ist, welches einen haargenau zu dem Ort bringt, den man sich wünscht. Die Konzentration auf das Ballungsgebiet Leipzig - Halle - Merseburg, das Angebot der Ilm - Saale - Unstrut - Region als dem Rheingau des Ostens - so wie Frankfurt am Wochenende in das Naherholungsgebiet in den Rheingau fährt - hat uns zur attraktivsten Naherholungsregion Deutschlands gemacht.
 
Witzig war es auch, daß es wieder schick wurde, von Berlin aus nach Bad Kösen, Bad Sulza oder auch Bad Bibra zu reisen. Die Bahnreise konnte unter zwei Stunden realisiert werden, und viele Zielgruppen, die keinen Bock mehr auf Ballermänner und ähnliches hatten, suchten Ruhe, Erholung, Genuß, Wellness, Entspannung. Ja, durch die Verbesserung der Verkehrsanbindung und auch die Verbesserung des Bahnwesens wurden uns große Vorteile ins Haus gespielt. Heute ist es selbstverständlich, daß man in kürzester Frist mit der Bahn angenehm reist und mit einem ausgefeilten Taxi- und Servicesystem an den Ort kommt, den man wünscht.
 
Die ganze PISA-Diskussion in den Anfängen des 2. Jahrtausends hat unserer Region ebenfalls viel gebracht. Lebenslanges Lernen, die Besinnung auf die eigene Kultur, das Interesse an der Historie, das Erleben von Lernbedürfnissen an den Originalschauplätzen, die Auseinandersetzung mit Kultur, Philosophie, Musik, Klassik, Literatur, all die Größen, die in unserer Region gewirkt haben, sind heute in der bundesdeutschen Bevölkerung eine Selbstverständlichkeit geworden, und es gehört zum guten Ton, an den Orten gewesen zu sein, an denen die geistigen Größen weilten und wirkten, die die Grundlage für die deutsche und internationale Kultur gelegt haben. Ja, selbst Beate Uhse als frühere Schulpforte-Schülerin spielt heute wieder eine Rolle, wurde wiederentdeckt, so wie Käthe Kruse heute eine Selbstverständlichkeit ist. Aber als Bad Kösen sich auf ihren Sohn Grodeck als Zeitgenossen von Freud besonnen und dessen Name wieder größere Bedeutung in der deutschen Diskussion genommen hat, denn immerhin war er es, der das "ES" erfunden hat und schon sehr früh als Psychologe, als Badearzt in Baden-Baden wirkte und schon vor Freuds Zeiten erkannt hatte, daß Heilung nur durch Zuwendung und Balance der Seele erreicht werden kann - auf seinen Erkenntnissen wurde unter dem Motto Glück und Gesundheit in unserer Region ein Pilgerzentrum für glücksuchende Menschen errichtet, welches in der allgemeinen Sinnkrise in den Anfängen des Jahrhunderts in Europa zu einem wirklichen Gesundbrunnen für Geist und Seele wurde. Wo sonst auf der Welt kann man nachvollziehen, daß von 1806 bis 2006 aus einer Erzfeindschaft eine Freundschaft wurde, die Erkenntnis, daß Dummheit, Haß und Krieg nicht die Zukunft sein kann, sondern das friedliche Zusammenleben, das Miteinanderwirken - eine wirklich europäische Herausforderung, die wir in unserer Region angesichts unserer eigenen Geschichte frühzeitig erkannt haben und, wenn man heute die Welt betrachtet, einen kleinen Beitrag geleistet haben, daß kriegerische Auseinandersetzungen, ethnische Massaker doch in erheblichem Maße nachgelassen haben.
 
Liebe, Toleranz, Zuwendung und Freundlichkeit - das waren die Leitlinien für unsere Dienstleistungsgesellschaft, die wir aber auch gegenüber den Politikern erst durchsetzen mußten, da man, wie z. B. damals in Thüringen, zwar von einer Denkfabrik sprach, aber eine Dienstleistungsgesellschaft abgelehnt hatte und die politischen Gleisstellungen erst mit dem Jahr 2005 eingeleitet wurden, weil man endlich begriffen hat, daß eine Dienstleistungsgesellschaft eine wahre Jobmaschine ist.
 
Heute befindet sich unsere Arbeitslosenrate in der Region unter 3 %, aber es war ein langer Weg und hatte auch wieder mit Bildung zu tun, daß es für jeden ein Genuß wurde, dienend leistend tätig zu sein, um den Besuchern, den Menschen, die in unserer Region Erholung und Entspannung gesucht haben, alles mögliche von den Augen abzulesen und ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Immerhin war die Voraussetzung einer durchweg freundlichen Bevölkerung so stark, daß wir heute sagen können: Wir gehören zu den besten Dienstleistungsstandorten in Deutschland.
 

  
Weidenrutenpalast in der
Toskana des Ostens
Foto: Raul Böhm
Eigentlich war es ganz einfach: Spätestens als der Ladenschluß aufgehoben wurde, damals noch durch einen Trick, das die Kurstadt Bad Sulza an die Ladenschlußgesetze per Beschluß des Gemeinderates nicht gebunden war und das erste Factory- Outlet mit Premiummarken in Bad Sulza installiert wurde, konnten Besucher der Region endlich das Geld ausgeben, was sie ausgeben wollten, weil eben zum Baden, Erholen und Genießen auch Shopping und gutes Essen gehört. Heute ist es selbstverständlich, in unsere Region zu kommen, Liquid Sound zu genießen und Top-Mode einzukaufen, die sonst nur in Mailand, Paris oder Berlin angeboten wird. Überhaupt war die Idee der Schnäppchentouren nicht schlecht als Fortsetzung der ThüringenCard, an die sich später ja auch Naumburg, Bad Kösen, Bad Bibra, Freyburg anschlossen. Diese Schnäppchentouren als touristische Attraktion zum Besuch von Werksverkäufen hat uns viele Besucher gebracht, hat gleichzeitig den Firmen aber auch später noch eine enorme Umsatzentwicklung beschert, weil die meisten dann über E-Commerce die Produkte auch von Zuhause bestellt haben. So etwas nennt man heute Kundenbindung, und wer mal wieder etwas Ausgefallenes sucht, ob in der Modemanufaktur oder in der Spielzeugproduktion, der kommt dann immer wieder mal zu uns.
 
Ja, PISA, Bildungs- und Fortbildungsangebote, lebenslanges Lernen, Lebenshilfe, Aufklärung wurden Schlüsselerlebnisse, selbst die Amerikaner, die erkannten: "Bildung hilft gegen Fettleibigkeit, Kampf dem Massenvernichtungsmittel Cheeseburger" - führten dazu, daß wir über lange Zeit hier mit unseren Gesundheitskoch- und Weinseminaren den Bildungshunger befriedigen konnten. Auch der sich herausbildende Bildungshunger nach Kunst und Kultur, die Entwicklung von Weimar als Kulturmetropole, welches sich um die positive Entwicklung des Deutschen Nationaltheaters entwickelte, dessen Premieren heutzutage selbstverständlich in der New York Times besprochen werden. Schon 1930 war zu lesen, daß für jeden gebildeten Bürger klar war, daß Thüringen die Toskana des Ostens ist. Auch die Kulturzeitachse war so ein Katalysator für unsere Region. Ausgehend vom Goethe Gartenhaus 2, Schloß Auerstedt und dem Kunsthaus Apolda Avantgarde wurde die gesamte Kulturregion Thüringen und anliegende Regionen bis Freiburg in der immer besseren Präsentation des Kulturjahreskalenders auf internationalen Tourismusmessen angeboten, so daß die Auflagen für diese Produkte innerhalb von wenigen Wochen vergriffen waren.
 
Übrigens, kann sich noch jemand erinnern, als die deutschen Theater zum Weltkulturerbe erklärt wurden und in diesem Zusammenhang die Politik die Kultur endlich als Pflichtaufgabe begriffen hatte und wir die Kultur als eines der größten Exportgüter unserer Nation begriffen haben? Damals bei der Eröffnung der Toskana Therme, als die Journalisten Herrn Klaus Dieter Böhm fragten, was denn nun sei, nachdem die Toskana des Ostens ja Realität sei, was sind die neuen Perspektiven? - und er sagte, Bad Sulza würde das Baden-Baden des 21. Jahrhunderts werden, wurde ebenfalls gelacht. Aber spätestens die Eröffnung des 4-Sterne-Grandhotels in Bad Sulza 2006 und die Überlassung der Thüringer Spielbanklizenz für Bad Sulza, die sich in einem Netzwerk mit den amerikanischen Indianern in ihren Reservaten zu einer der attraktivsten Spieleradressen Deutschlands entwickelt hatte, brachte auch viele Amerikaner in unsere Region, die sich mit dem Elend und dem Schicksal ihrer Ureinwohner auseinandersetzten, und da sie sowieso nur in Partnerkonzeptionen und Empfehlungskonzeptionen denken, natürlich Bad Sulza und unsere Region als eine ihrer favorisiertesten Adressen in Europa ansahen.

   
  Auerstedt,Toskana des Ostens
  Foto: Linda Troeller   
 
Die internationale Spa-World, die schon in den Anfängen dieses Jahrhunderts augenscheinlich zu einer der dynamischsten wirtschaftlichen Entwicklungen sich mauserte, hat auch uns vorangebracht. Heute gibt es auf allen fünf Erdteilen dieses Planeten eine Toskana Therme, eine wirkliche Innovation, einen Exportartikel im internationalen Bäderwesen. Auch das Liquidrom, was Anfang dieses Jahrhunderts in Berlin eröffnet worden ist, hat uns in dieser Entwicklung enorm vorangebracht.
 
Wenn ich noch bedenke, daß Bad Kösen große Schwierigkeiten hatte wegen des Verkehrs und der schlechten Luft die Anerkennung als Kurort zu bekommen, muß ich doch heute sagen, daß diese existenzielle Bedrohung des Kurortes immerhin dazu geführt hat, daß die Ortsumgehung von Naumburg und Bad Kösen in kürzeren Zeiträumen realisiert worden ist, als es eigentlich angesichts der schlechten Kassenlage am Anfang unseres Jahrhunderts aussah. Und diese Infrastrukturmaßnahme hat im Grunde genommen diese Region für den internationalen Tourismus geöffnet. Gleichzeitig hat man die Zwischenzeit genutzt, um sich einem Trend, den internationalen Trendsportbereichen, zu öffnen. Angefangen hat es ja mit dem Wasserwandern, dem Trekking, und heute kann man an den Saaleufern klettern. Es gibt ausgezeichnete Biker-Parcours; der Weinmarathon von Jena nach Bad Sulza hat eine internationale Bedeutung erreicht, und wir müssen die Teilnehmerzahl in den letzten Jahren ständig begrenzen. Auch Bad Bibra hat in der Kooperation mit den Kneipp-Werken unter dem Stichwort Kneippness heute eine Bedeutung angenommen, daß im Grunde genommen die Kneipp-Werke ihre Konzeption nach Osteuropa bringen können und Bad Bibra, Bad Sulza und Bad Kösen zum Ausbildungszentrum für all diejenigen geworden sind, die sich in diesen Zukunftsmärkten bewegen.
 
Der Megatrend Wellness-Spa hat uns in den vergangenen 20 Jahren viel Freude gemacht. Zuerst kamen die mondsüchtigen Freaks aus der ganzen Welt zu den Mondscheinparties. Heute ist es zur Allgemeinbildung geworden, wenigsten einmal in der Toskana des Ostens gewesen zu sein, ähnlich wie die Sehnsucht der meisten, einmal nach Venedig gereist zu sein. Diese Erfolge haben wir uns erschlossen, weil wir erkannt haben, daß 500 Jahre Kulturgeschichte auf 50 km erlebbar gemacht werden konnten, daß Erlebnis und Genießen von Kunst und Kultur ein Grundbedürfnis der Menschheit ist.
 

Klaus Dieter Böhm
 
Vortrag, gehalten auf der Regionalen Fachkonferenz "Länderübergreifende Tourismusentwicklung Sachsen-Anhalt/Thüringen: Beispielregion Saale-Unstrut" am 23.11.02

 
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